Worauf wir bauen

Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören, denn der Tempel Gottes ist heilig – der seid ihr. (1. Korintherbrief 3, 9-17)

Dieser Brief ist 2000 Jahre alt. Das Original ist nicht mehr vorhanden. Das Papier, auf dem er geschrieben wurde, hat die Zeiten nicht überlebt. Aber abgeschrieben wurde dieser Brief an die Gemeinde in Korinth, viele Male, per Hand, bis er irgendwann später seinen Weg in die Sammlung von Texten und Briefen gefunden hat, die wir das Neue Testament nennen. Die Worte sind zeitlos, obwohl sie in eine konkrete Situation hinein geschrieben wurden: In die Situation der zerstrittenen Gemeinde in Korinth. Und man kann diese Worte immer wieder über die Situation zerstrittener Gemeinden legen. Denn der große Trost dieser Worte ist: Es war noch nie anders. Schon in den ersten christlichen Gemeinden, die Paulus auf seinen unermüdlichen Reisen rund um das Mittelmeer gegründet hat, gab das alles: Streit, Auseinandersetzungen, Parteilichkeiten. Streit mit Paulus, Streit untereinander, Taten und Worte mit Verletzungspotential, möglicherweise auch Rücktrittserklärungen und nachfolgende Kanzelabkündigungen, vielleicht Gemeindeversammlungen. Es war noch nie anders.

Und das liegt in der Natur der christlichen Gemeinden, in denen Menschen eine neue Ordnung der Dinge erlebt haben. Gemeinden, in denen alle gleich willkommen waren, Juden und Griechen; Sklaven und Freie, Männer und Frauen (Gal 3, 28). Alles unterschiedliche Menschen mit ihren unterschiedlichen Gaben und Eigenarten. In denen man erst lernen musste, die Gaben der anderen zu schätzen und mit den Eigenarten der anderen zurechtzukommen. Alle Briefe, die Paulus geschrieben hat, erzählen davon, wie mühsam das sein kann. Es war noch nie anders. Es wird immer so bleiben.

Ich nehme heute die Worte von Paulus und lege sie auf unsere Situation hier in der Gedächtniskirche. Ich blicke durch die Worte von Paulus hindurch auf unsere Situation. In diesem Brief bezeichnet sich Paulus selbst als „Baumeister“, im griechischen Original als „Architekt“. In diesem Wort kommen die Worte „Anfang“ und „Kunst“ oder „Handwerk“ zusammen. Ein Handwerker des Anfangs ist Paulus, mit viel Erfahrung darin, wie man eine Gemeinde gründet, wie man Menschen, die sich vorher nicht kannten, zusammenbringt und ihnen die Botschaft von Jesus Christus weitersagt. Nur hat er an eines dabei ganz sicher nicht gedacht: An das Errichten von Gebäuden aus Stein oder Holz. Denn sein eigentlicher Beruf war ironischerweise auch noch Zeltmacher. Es gibt eigentlich niemanden, der sich weniger Gedanken machen müsste als Paulus um echte Fundamente, um den Grund, der zuerst gelegt werden muss. Dass er trotzdem in seinem Brief das Bild des Bauens verwendet, höre ich auch als eine leise ironische Kritik an den beeindruckenden Bauwerken des Römischen Reichs. Er wird sie auf seinen Reisen gesehen haben, all die Prachtstraßen und Triumphbögen und Stadien und Tempel. Und sich gedacht haben: Baut ihr nur. Wir bauen auf etwas anderes. Wir bauen auf Jesus, der es sein Leben lang nicht so mit Gebäuden hatte, dieser Wanderprediger ohne Dach über dem Kopf.

Ich nehme die Worte von Paulus und lege sie auf die Geschichte dieser Gemeinde. Es war ja bei uns anders, als es sonst ist: Erst war das Gebäude da und dann die Gemeinde. „Ein jeder aber siehe zu, wie er darauf baut“, schreibt Paulus. Und den Grund, das Fundament, auf dem die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche vor 130 Jahren errichtet worden ist, finde ich fragwürdig. Es ging damals um ein Vorzeigeprojekt für den Evangelischen Kirchenbauverein. Denn es war nach Auffassung der Kaiserin Auguste Viktoria eine gute Idee, die Menschenmassen in Berlin ohne kirchliche Bindung durch den Bau von Kirchen wieder an dieselbe zu binden. Es hätte andere Wege gegeben, wie etwa diakonisches Engagement. Aber hier am damaligen Auguste-Viktoria-Platz ging es vor allem um Prestige, darum, sich zum Beispiel auch als Spender einen Namen zu machen. Es ging um Kaiser Wilhelm den I. und den II. und die Hohenzollern und um das Bündnis von Thron und Altar.

Und dann passierte, was Paulus schreibt: Der Tag des Gerichts brachte es ans Licht und mit Feuer offenbarte sich, von welcher Art dieses Werk war. (1. Kor 3, 13b). Über allen nationalen Stolz, über alles Prestige, über das Sich-einen-Namen-machen kam in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 das Gericht. Und zurück blieben eine Ruine, Millionen glitzernder Mosaiksteine im Schutt und eine zu Tode erschreckte und verstörte Gemeinde ohne Kirche. Schon am 2. September 1945, zum 50. Jahrestag der Einweihung der Kirche, wurde im ebenfalls beschädigten Gemeindehaus der Beschluss gefasst, die Kirche wiederaufzubauen. Statt mit Ziegeln, Tuffstein und Mosaiken nun anders und modern. Stahl, Beton und Glas waren die Materialien, ein namhafter Architekt war am Werk – aber das Fundament, der Grund, was war mit dem? Ich habe nicht den Eindruck, dass jemals die Gemeinde selbst gefragt wurde, was für eine Kirche sie sich eigentlich wünschte. Und auch nicht, dass in die neue Kirche auch ein neuer Geist eingezogen wäre, so konservativ, wie sie sich beispielsweise während der Zeit der Studentenbewegung gezeigt hat.

Worauf baut ihr? Was ist euer Fundament? Ich lege die Worte von Paulus auf unsere Situation heute. Wir haben wieder ein Bauprojekt begonnen. Und gemerkt, wie sehr es unsere Kräfte bindet, uns fordert und auch überfordert. Beton, Stahl, Glas, sie erweisen sich als höchst schwierige Materialien. Unsere Kirche ist doch der Ort in Berlin und vielleicht in Deutschland schlechthin, an dem aus der Geschichte zu lernen ist. Sie ist ein Mahnmal gegen den Krieg, der Erinnerungsort für Neuanfang und Versöhnung. Mir ist manchmal, als spräche sie vor allem zu anderen, aber nicht zu ihrer eigenen Gemeinde. Wir fordern andere Menschen auf, aus der Geschichte zu lernen – aber haben wir aus unserer Geschichte mit Gebäuden gelernt? Haben wir uns als Gemeinde der Gedächtniskirche schon jemals gefragt, was wir eigentlich wirklich wollen, mit diesem ikonischen Bau aus Beton und Stahl und Glas? Die einmalige Kraft dieser Kirche ist doch nicht, dass sie das Hauptwerk von Egon Eiermann ist. Er muss, wie jeder gute Architekt, hinter sein Werk zurücktreten.

Ich lege die Worte von Paulus, dem Zeltmacher, auf unsere Situation heute und frage mich, was er dazu sagen würde. Vielleicht: Wieviel von eurer Kraft und eurem Geld geht in das Gebäude aus Beton und Stahl und Glas? Und wieviel davon geht in das, was in diesem Gebäude doch eigentlich geschehen sollte und könnte? Diese Kirche zieht von sich aus Menschen an. Die alle suchen, was es nicht oft gibt in dieser Stadt und in der Welt: Eine offene Tür, Stille, Geborgenheit, Trost, gute Worte, schöne Musik. Und alles täglich und kostenlos. Die täglichen Andachten, das Gebet, der Trost der Musik, nur eine Viertelstunde am Tag, das mussten wir leider schon alles streichen, weil wir dafür jetzt kein Geld mehr haben und nicht genug Personal. Aber soll das so sein? Jeden einzelnen Tag eine Gelegenheit weniger, für die Menschen da zu sein, für unsere riesige, unsichtbare Gemeinde aus all denen, denen diese Kirche etwas bedeutet und die in keinem Gemeindekirchenrat und keinem Kuratorium einer Stiftung vertreten sind. Natürlich muss diese Kirche baulich erhalten werden. Das bestreitet niemand. Aber warum darf eine Ruine nicht einfach eine Ruine bleiben?

Von welcher Art all unser Werk, all unser Bauen ist, das wird sich zeigen. Daran erinnert uns Paulus mit dem unschönen und beängstigenden Wort „Gericht“. Ich versuche, mir davon keine Angst machen zu lassen. Aber ich nehme dieses Wort zum Anlass, mir über das Gedanken zu machen, was am Ende bleibt. Gold, Silber, Edelsteine, Heu, Holz, Stroh – was genau was gewesen ist, das zeigt sich erst am Ende. Es geht jedenfalls nicht darum, sich einen Namen zu machen oder sich mit dem Namen dieser Kirche in irgendeiner Weise zu schmücken. Es geht nicht um Gold, Silber, Edelsteine, um Glanz und Prestige. So wie ich Jesus kenne, sind es am Ende wahrscheinlich Heu, Holz und Stroh, die bleiben. Weil es die Materialien sind, aus denen die Krippe gemacht war, seine erste Unterkunft in der Welt.

Lasst uns keine Angst vor dem Wort Gericht haben und bis zum Ende denken, bis zu dem, was bleibt. Wir leiden doch Schaden, heute schon, an all den Auseinandersetzungen, die es unter uns gibt. Selbst wenn wir da hindurch sind und gerettet werden, die Wunden und Narben bleiben. Und auch, wenn das noch nie anders war in christlichen Gemeinden: Ich will, dass es anders wird.

„Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ schreibt Paulus. Ich will, dass wir uns fragen, was der Grund ist, das Fundament, das, worauf wir bauen. Denn das Schönste an dieser Kirche ist für mich, dass sie diese Christusfigur beherbergt, hier über uns allen schwebend, auch über unseren Auseinandersetzungen, ein Jesus, ernst und klar, voller Anteilnahme, selbst von Wunden und Narben gezeichnet. Er ist nicht mal aus Gold und ich weiß nicht, welche Feuer er überstehen würde. Aber er kommt schon aus einem. Denn dieser Christus ist das Ergebnis eines erbittert geführten Streites zwischen dem namhaften Architekten Egon Eiermann und dem weit weniger namhaften Bildhauer Karl Hemmeter. Er ist ein Werk der Versöhnung. Wir haben ihn vor Augen. Er ist der Grund, warum wir hier sitzen, so unterschiedlich nach unseren Gaben und Eigenarten. Und er ist der Grund von allem, worauf wir bauen.

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