Brot vom Himmel

Ein Morgen wie jeder Morgen. Am Himmel schon ein Streifen Helligkeit, immerhin, schon mal besser als die Dunkelheit der Wintermonate. Auch der Weg durch die dunkle, kühle Wohnung der gleiche wie jeden Morgen. Im Badezimmer empfängt sie Licht und Wärme. Sie spürt das Wasser im Gesicht und an den Händen. In der Küche dann, was eigentlich nicht sein kann, noch nicht. Denn sie ist doch dafür verantwortlich, an jedem Morgen, vor allen anderen. Was ist das?

Auf dem Küchentisch stehen tatsächlich schon die Teller für die beiden Großen, darauf Toast mit Butter und Marmelade, in der Luft noch schwach der Duft von geröstetem Brot. Auf der Arbeitsfläche neben dem Spülbecken liegen die Brote für die Schule, Graubrot, Mischbrot, mit Salami und mit Leberwurst, zusammengeklappt, in durchscheinendes weißes Papier gewickelt, fertig zum Einpacken in die Brotdose. Und da, neben der Kaffeemaschine, ein Korb mit Brötchen. Der ist wohl für sie. Als ob einer wüsste, wie gern sie das hat, die glänzende Kruste, die weiche Krume, Butter darauf und Honig. Was ist das? Es kann nicht sein. Alles ist da, alles ist bereit. Und anders als an jedem anderen Morgen nimmt sie sich einen Teller und zieht den Stuhl an den Tisch.

Ein Morgen wie jeder Morgen. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Sie sammelten aber alle Morgen, soviel ein jeder zum Essen brauchte. Und das Haus Israel nannte es Manna. Und es war wie weißer Koriandersamen und hatte einen Geschmack wie Semmeln mit Honig. Und die Israeliten aßen Manna vierzig Jahre lang, bis sie in bewohntes Land kamen; bis an die Grenze des Landes Kanaan aßen sie Manna. (Ex 16)

Alles da, alles bereit, jeden Morgen, viele Jahre lang, über Generationen. Ich überschlage manchmal im Kopf, wie viele Jahre das waren, mit den Toastbroten und Schulbroten, dem schnellen Frühstück im Stehen und den Brötchen nur am Wochenende. Eine Generation habe ich versorgt, viele Jahre war ich dafür verantwortlich sein, an jedem Morgen, vor allen anderen und auch am Tag. Ist Brot im Haus, ist es genug, reicht es übers Wochenende, habe ich daran gedacht, dass die Kinder Schulbrot brauchen und wir gerne morgens Weißbrot essen, wenn es schon keine Brötchen gibt? Meine Sorge um Brot. Sie war nicht mehr als ein Kosten von den Sorgen derer, die sich kein Brot kaufen oder es nicht bezahlen können. Aber sie war so eine zuverlässige kleine Sorge an jedem Tag.

Und manchmal stand ich da, am Morgen, allein und vor allen anderen. Dann habe ich die Scheiben so geschnitten, dass es noch für die Schulbrote gereicht hat. Und dann habe ich daran gedacht, ob es reicht. Ob es das ist, die Morgen, die sich gleichen, die Abende am Tisch, die Brote belegt mit Salami und Käse und Lachen und Kindersorgen und manchmal auch mit Streitereien. Der Kanten, den keiner mehr essen will und die Scheiben, die sich trocken krümmen im Korb. Auch das ist doch Brot, Alltagsbrot. Es schmeckt nicht gerade wie Brötchen mit Honig. Es geht immer wieder zu Ende.

Alles da, alles bereit, jeden Morgen, viele Generationen. Jeden Morgen, als sie sich danach bückten und es eingesammelt haben, wie es da lag, rund und klein, haben sie für einen Augenblick die Wüste vergessen und den Weg und die Jahre. Wie Tau lag es da, wie die sanftere Schwester des Regens, getreu und zuverlässig, nie versagend, sich immer gleichbleibend, nur Erquickung und Labung bringend. Man hört es nicht fallen und sieht es nicht kommen, verstohlen ist es in der Nacht herabgestiegen, das Brot, und hat sich gleichmäßig auf der Erde niedergelassen.[1]

Ich möchte das auch so erfahren. Jeden Tag nehmen, was kommt. Vertrauen, dass etwas da sein wird. Sorgfältig aufsammeln und dann satt und sicher sein. Und die Wüste vergessen und den Weg und die Jahre.

Aber ich war nicht dabei, damals nicht in der Wüste. Und auch nicht am See, als es Brot gab für alle. Ich habe das Kind nicht gesehen mit den fünf Broten und den zwei Fischen und nachher die zwölf Körbe mit dem, was noch übrig war, als alle längst schon satt waren.

Ich habe es nicht gesehen, nicht das Wunder, nicht einmal die Reste des Wunders. Ich stand in der Küche und habe Brote gestrichen, für mich und für die Kinder, am Morgen und am Abend. Brote, die aufgegessen wurden an jedem Tag. Und ich hoffe so sehr, dass es gereicht hat über die Jahre.

Zu solchen wie mir sagt Jesus: Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.

Worte für solche wie mich, die genug Brot haben und trotzdem Angst, ob es reicht. Worte für die Satten, auch damals schon. Sie hatten ja das Brot gegessen am See, sie hatten die zwölf Körbe gesehen mit dem, was noch übrig war. Das Wunder und noch die Reste des Wunders. Sie waren satt, aber sicher waren sie trotzdem nicht. Sie kommen und fragen. Es reicht ihnen nicht.

Und ich merke: Sie sind gar nicht so weit weg von mir. Es ist ein anderer Hunger, den wir haben, ein anderer als der Hunger, den ein leerer Magen macht. Hunger nach Sicherheit, Gelassenheit, Vertrauen, Hoffnung, durch alle Wüsten im Leben, auf allen Wegen, durch alle Jahre. Es ist ein Hunger, den kein Brot auf der Welt stillen kann. Man kann ihn vielleicht eine Zeit lang unterdrücken, doch er holt einen wieder ein. Und dann steht man da und hofft, dass es reicht. Und merkt, es reicht nicht.

Alles da, alles bereit. Ich bin das Brot des Lebens. Das sagt Jesus. Ein Unterschied zu dem Brot, das vom Himmel gefallen ist und auch zu dem Brot, das die Körbe gefüllt hat. Dieses Brot war ein Vorgeschmack auf das andere Leben, auf ein Leben voller Sicherheit, Gelassenheit, Vertrauen und Hoffnung. Dieses Brot hat einer gegeben und wer weiß, ob es nicht irgendwann vorbei ist damit. Von den Resten eines Wunders kann doch niemand leben über die Jahre.

Ich bin das Brot des Lebens, sagt Jesus. Und es gibt keinen Unterschied zwischen dem, was ich bin und dem, was ich gebe. Ich bin das Korn, das in die Erde gefallen ist und gestorben ist und begraben wurde und Frucht bringt. Ich bin das Korn und der Weizen, geschnitten und gemahlen, um Brot zu werden. Ich bin euer Vertrauen, eure Sicherheit, eure Gelassenheit, eure Hoffnung, durch alle Wüsten, auf allen Wegen, durch alle Jahre.

Ein Morgen wie jeder Morgen. Und heute stehe ich in der Küche und spüre: Es war alles da, alles bereit, durch alle Wüsten, auf allen Wegen, durch alle Jahre. Und dann ziehe ich den Stuhl an den Tisch und nehme das Brot und beginne zu essen.

Amen.


[1] Zitat nach Benno Jacob, Das Buch Exodus, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts, Stuttgart 1997, 485.

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