Bund fürs Leben

Wenn hier in der Gedächtniskirche ein Brautpaar hier vor mir sitzt, dann haben wir meisten einen kurzen Moment für uns. Das ist kein stiller Moment, denn im Hintergrund wird die festliche Musik vom Einzug noch zu Ende gespielt. Auf Pauken und Trompeten verzichten wir meistens, denn das war schon damals in Leipzig, als die Kantate entstand, das ganz große Besteck und mit entsprechenden Kosten verbunden. Aber der Einzug bei einer Hochzeit wirkt immer, auch ohne zusätzliche Instrumente. Die festliche, schön angezogene Gemeinde, die für das Paar aufsteht. Das Strahlen der Brautleute, das seinen Gästen zulächelt. Und auch die ersten schnell weggetupften Tränen der Rührung. Dann sind die beiden hier vorne angekommen und setzen sich, auf die von Egon Eiermann eigens designte Traubank. Immer ist der Brautstrauß im Weg oder das Kleid. Oder das Taschentuch nicht griffbereit.

Dann sitzen sie da und ich stehe vor ihnen und warte auf das Ende der Musik und bis ich anfangen muss zu sprechen. Und in dieser Zeit sehen wir uns an, das Brautpaar und ich. Aus dem Traugespräch kenne ich die Geschichte der beiden. Ich weiß, was hinter ihnen liegt, was sie schon gemeinsam erlebt und manchmal auch durchgestanden haben. Und ich weiß ein bisschen etwas von ihren Hoffnungen und Wünschen für ihre gemeinsame Zukunft. In diesem Moment denke ich auch an meine eigenen Geschichten mit Liebe und Beziehung und Ehe. Ich bin sicher nicht die Einzige im Traugottesdienst, der es so geht. Und wir alle wissen: Das, was heute beginnt, das kann anders ausgehen, als man es sich wünscht. Aber immer, wenn ich dort stehe, in diesem besonderen Moment, der dann gleich wieder vorbei ist, wenn die Musik zu Ende ist, dann spüre ich auch die besondere Kraft dieses Moments. Dann nehme ich mir etwas von der grenzenlosen Zuversicht aller Brautpaare, dass dies eine gute Entscheidung ist und der richtige Weg. Dann habe ich einen kostbaren Moment lang Anteil an dem Vertrauen, das sie ineinander und in die Zukunft haben.

Hochzeitsmusik hat Johann Sebastian Bach häufiger geschrieben. Das tat er nicht ungern, denn damals wie heute war eine große Hochzeit eine aufwendige und teure Angelegenheit. Und von dem Hochzeitskuchen bekamen auch der Thomaskantor und vor allem die Musiker aus Leipzig ihren Teil ab. Pauken und Trompeten haben also ihren Part bekommen in dieser Kantate, praktischerweise nur im Eingangschor, so dass sie gleich weiterziehen konnten, um anderswo Musik zu machen. Vielleicht ging es zum Empfang des Brautpaars an dem Ort, wo dann gefeiert wurde oder noch zu einer anderen Hochzeit. Und ganz offensichtlich sollen auch andere, eher selten gehörte Instrumente vom Hochzeitskuchen etwas abbekommen. Im zweiten Teil der Kantate kommen wir in den seltenen Genuss eines Fagott-Solos, auch wieder gleich zu Anfang, aus welchen Gründen auch immer. Wir werden es genießen und schweigen…

Die Hochzeitsmusik dieser Kantate feiert den Moment, den ich so mag, auf der Schwelle zwischen der Vergangenheit und der Zukunft eines Paares. Sie ist voll grenzenloser Zuversicht und voller Vertrauen. Für Menschen mit einiger Lebens- und Liebenserfahrung mag das die Grenze zur Naivität überschreiten. Schläfert allen Sorgenkummer / in den Schlummer / kindlichen Vertrauens ein. In der Hochzeitsnacht trifft das hoffentlich zu – aber was ist mit all den Tagen und Nächten danach, aus denen gemeinsame Jahre werden? Ist es nicht beinahe kindliche Regression, davon so unerhört ausgiebig zu singen? Ja, wahrscheinlich ist es das. Aber ohne diese Zuversicht und dieses Vertrauen, das zwei Menschen ineinander haben, würde es keine einzige Hochzeit mehr geben können. Und überhaupt keine Menschen, die sich etwas versprechen, mit Worten oder ohne, um in verbindlichen und vertrauensvollen Beziehungen miteinander zu leben. Und damit, so muss man es wohl in letzter Konsequenz sagen, gar keine Liebe.

Es gibt in der Kantate einen kleinen und leicht zu überhörenden Hinweis, an welche Liebe diese Zuversicht und dieses Vertrauen erinnern: Drum folget Gott und seinem Triebe. / Das ist die rechte Bahn. / Die führet durch Gefahr / Auch endlich in das Kanaan. Die Hochzeit, der viel zitierte Bund fürs Leben, wird verglichen mit dem Bund, den Gott mit seinem Volk schließt. In der Theologie nennt man das „Erwählung Israels“. Aber es ist genau das Gleiche, was meine Brautpaare hier in die Kirche auf die Traubank vor den Altar führt: Liebe, Zuversicht und Vertrauen. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat (Dtn 7, 7) . So ein schlichter Grund für den Bund Gottes. Gott schließt diesen Bund zuerst mit Abraham und Sarah und später dann mit dem ganzen Volk, das wider alles menschliche Erwarten aus diesem einen Paar geworden ist. Ein Paar, das die Zeit der Hochzeitsfreuden und seinen Lebensfrühling schon lange hinter sich gelassen hatte. Abraham und Sarah waren, hätte es das damals schon gegeben, längst über die Goldene Hochzeit hinaus. Aber sie wurden belohnt für ihre Zuversicht und ihr Vertrauen auf Gott, durch alle Tage und Nächte und Jahre mit sehr dürftiger Hoffnung hindurch. „Nächstes Jahr um diese Zeit wird Sarah einen Sohn haben“, lässt Gott ihnen ausrichten. Und erst lachen sie darüber, weil sie alt sind und verbraucht und weil es ja all die Jahre nichts geworden ist mit Kindern. Aber bei Gott ist kein Ding unmöglich. Das müssen sie feststellen und halten am Ende das Ergebnis ihrer Zuversicht und ihres Vertrauens im Arm.

Ihre Geschichte geht weiter, auch ihre Geschichte mit Gott, und es wird sehr oft Situationen geben, in denen sie ihre Zuversicht und ihr Vertrauen zusammenkratzen müssen. Eine Geschichte liegt schon hinter Gott und seinem Volk, wie sie sich kennen gelernt haben, was sie schon gemeinsam erlebt und durchgestanden haben. Bis zu dem Tag am Berg Sinai, als Gott – zwar ohne Hochzeitsmusik, aber doch mit einer Posaune und Donner und Blitz – den Bund mit dem Volk Israel schließt. Solange sie leben, Gott und sein Volk, so lange gilt dieser Bund. Das versprechen sie sich. Und auf der Hochzeitsurkunde steht, woran sie sich halten wollen. Es sind die Zehn Gebote. Sie sind voller Liebe, zwischen Gott und den Menschen und zwischen den Menschen. Und sie werden später zusammengefasst mit den Worten, die ganz nach dem Versprechen klingen, das sich Brautpaare geben: Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. (Dtn 6,4)

Folget Gott und seinem Triebe / das ist die rechte Bahn / Die führet durch Gefahr / Auch endlich in das Kanaan. Post copulationem, wie es in den Noten zur Kantate heißt, nach dem Bund, geht es weiter. Für Gottes Volk bedeutet das zuerst einmal vierzig Jahre Wüstenwanderung, eine Zeit, in der ihre Zuversicht und ihr Vertrauen manchen Zumutungen ausgesetzt war. Und in der auch Gott selbst manchmal verzweifelte über dieses Volk, mit dem er sich verbunden hatte. Aber es ging weiter, immer, Tage und Nächte und Jahre hindurch, bis nach Kanaan, bis ins gelobte Land.

Post copulationem geht es überhaupt erst los. Nach dem Bund fürs Leben und dem Versprechen kommt der Auszug, der Weg in ein gemeinsames Leben, in die Zukunft. Folget Gott und seinem Triebe. Bleibt in der Liebe, egal was kommt, behaltet eure Zuversicht, euer Vertrauen, besonders in den Wüstenzeiten. Vielleicht sollte ich das dem Brautpaar hinterherrufen, wenn sie die Kirche wieder verlassen. Oder mir selbst sagen, in dem stillen Moment, den ich manchmal habe, wenn ich an meine eigenen Geschichten mit Liebe und Beziehung und Ehe denke. Das kommt besonders nach einer Trauung vor.

Und dann sammle ich die Zuversicht und das Vertrauen auf, die hier in der Kirche gewesen sind. Sie liegen noch da, wie das vergessene Liedblatt mit all den Noten auf der Traubank. Ich sammele sie auf wie die Blütenblätter und den Flitter auf dem Boden. Denn welcher seine Zuversicht / Auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

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