Geheimnis des Glaubens


Predigt zu 1. Timotheus 3, 16 in der Christnacht, 24. Dezember 2024

Einer sitzt in seiner Zelle. Sie liegt im Hausgefängnis im Keller des Reichssicherheitshauptsamtes in der Prinz-Albrecht-Straße, dort, wo sich heute das Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ befindet. Dieses Gefängnis ist für seine „verschärften Vernehmungen“ bekannt. Dort sitzen nur die ein, an denen der nationalsozialistische Staat und die Geheime Staatspolizei ein besonderes Interesse haben.
Einer sitzt in seiner Zelle und es ist kurz vor Weihnachten. Es ist sein zweites Weihnachten im Gefängnis und sein letztes auf dieser Erde. Einer sitzt in seiner Zelle und schreibt. Mehrere Abende lang schreibt er. Das Papier ist knapp, er kann es nicht für Entwürfe verschwenden. Vielleicht sagt er sich die Zeilen selbst halblaut vor, bis sie klingen und er sie schließlich aufschreibt.

„Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen“ schreibt er. Und wir wissen, was das für eine Untertreibung ist. Denn die Worte zittern auf dem schlechten Papier. Dietrich Bonhoeffer schreibt einen letzten Brief mit letzten Worten. Es ist nur der Freundlichkeit eines Gefängniswärters zu verdanken, dass der Brief mit den Versen darin aus dem Gefängnis herauskam. Anders als er selbst.

Von guten Mächten wunderbar geborgen / erwarten wir getrost, was kommen mag. / Gott ist bei uns am Abend und am Morgen / und ganz gewiss an jedem neuen Tag.


Wie können einem an Abenden im Gefängnis solche Verse einfallen? Der Ausgang der Geschichte von Dietrich Bonhoeffer reißt uns gleich wieder aus aller Weihnachtsstimmung. Er kam aus dem Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße nur heraus, um in das Konzentrationslager Buchenwald und von dort ins Konzentrationslager Flossenbürg gebracht zu werden. Dort wurde er am 9. April 1945 ermordet, wenige Wochen vor dem Ende des sogenannten Dritten Reiches.
Ein Theologe und Widerstandskämpfer, so beschreibt man ihn gewöhnlich. Ein evangelischer Märtyrer mit Tendenz zu einem Heiligen ist aus ihm geworden, in seinem Mut und der Konsequenz seines Handels unerreichbar für Normalsterbliche.
Aber was uns auch 80 Jahre später noch berührt und was wohl für immer von Dietrich Bonhoeffer bleiben wird, das sind seine zitternden, stillen, zuversichtlichen Worte, aufgeschrieben in einer Gefängniszelle. Was ist das Geheimnis dieser Worte und das Geheimnis dieses Glaubens?

Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens:
Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln,
gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit. (1. Tim 3, 16)

Dietrich Bonhoeffer war ein systematischer Theologe. Und als solcher hätte er sich über diese Worte aus einem Brief aus der Bibel sehr gefreut. Denn da hat jemand alles, was wir von Jesus wissen und glauben, in kurzen Sätzen zusammengefasst. So kommt es dazu, dass die ganze Weihnachtsgeschichte samt Windeln und Krippe und Engel und Hirten auf einmal in den einen Satz passt: Er ist offenbart im Fleisch.
Aus Geschichten von Jesus sind Sätze über Jesus geworden. Und aus Sätzen werden leider schnell Phrasen.
Gerade zu Weihnachten passiert uns Predigenden das: Gott wird Mensch. Gott kommt als Kind, sagen wir dann, in der Hoffnung, dass jemand von euch da unten die Sätze auffängt, mit denen wir von der Kanzel werfen und sogar etwas damit anfangen kann. Denn es soll einfach sein und so, dass es jeder versteht. Aber es ist nun einmal nicht einfach.

Es ist das große Geheimnis des Glaubens, wie sich Fleisch und Geist, Engel und Heiden, wie sich unsere nicht besonders herrliche Welt und die Herrlichkeit Gottes, wie sich alles, was überhaupt nicht zusammenpasst, an Weihnachten trotzdem miteinander verbindet.
„Seit Gott in Christus Fleisch wurde und in die Welt einging, ist es uns verboten, zwei Räume, zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es gibt nur diese eine Welt.“ Das hatte Dietrich Bonhoeffer schon geschrieben, als er noch hauptsächlich Theologe war. Aber erfahren hat er es erst in seiner Zelle, als aus dem Theologen ein Glaubender geworden war. Denn erst, wenn die Worte anfangen zu zittern vor lauter Erfahrung, dann hört endlich das Reden über Gott auf. Und das Reden mit Gott beginnt. Das ist das große Geheimnis des Glaubens. Alles andere ist bloß Theologie.

Es gibt nur diese eine Welt. Sie ist voll von Fleisch und Geist und Engeln und Heiden und Herrlichkeit. Das ist alles miteinander verbunden, weil Gott seit heute Nacht bei uns ist, immer, überall. Es gibt keinen Ort in der Welt, keinen Keller, kein Gefängnis, an dem Gott nicht bei uns ist am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Deswegen sind Dietrich Bonhoeffers Worte so still und zuversichtlich, wie die Worte manchmal zu Weihnachten werden. Dann, wenn wir Glück haben mit unserem Weihnachten. Und an Weihnachten tatsächlich das passiert, was er in seinen Versen beschrieben hat:

Wenn die Kerzen warm und hell flammen. Wenn wir zusammen sind, auch mit denen, die nicht mehr bei uns sind und die uns fehlen. Wenn wir Frieden haben mit dem Vergangenen und sogar mit dem Bitteren darin. Wenn sich endlich die Stille um uns breitet und klingt, wenn die Welt weit wird und die Nacht sich um uns legt wie eine Decke. Und wir uns geborgen fühlen, wie von guten Mächten.

Amen

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