Glück und Unglück

Er war der Liebling mit den schönen Kleidern, den großen Träumen, den glänzenden Aussichten. Und das brachte seine Brüder dazu, ihn in der Wüste verschwinden zu lassen, tief unten in einem Brunnen. Dort holten ihn Händler wieder heraus und verkauften ihn als Sklaven nach Ägypten. Im Haus des Potifar stieg er als Sklave schnell in eine verantwortungsvolle Position auf. Und verlor dann wieder alles. Eine falsche Anschuldigung brachte ihn ins Gefängnis. Auch dort blieb er nicht ganz unten, sondern stieg schnell wieder auf, vom einfachen Gefangenen zum Vertrauten des Gefängnisaufsehers. Die Geschichte von Josef in der Bibel ist eine Geschichte von Glück und Unglück, von Auf und Ab und Auf, jäh wechselnd und mit überraschenden Wendungen. Was eben noch Josefs Glück war, wird kurz danach sein Unglück. Und was eben noch sein Unglück war, wandelt sich in Glück.

Über Glück und Unglück denkt Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht nach. Zwischen den Zeilen klingen seine persönlichen Erfahrungen heraus: Am Anfang des Jahres 1943 hat er sich mit Maria von Wedemeyer verlobt, ein großes Glück für ihn, der so lange gezögert hat, sich zu binden. Auch aus der Angst davor, was mit seinen Liebsten geschehen könnte, wenn seine Tätigkeit im Widerstand auffliegt.

Und nur wenige Wochen später, Anfang April 1943 kommt er dann tatsächlich ins Gefängnis. Und während er in Tegel in seiner Zelle sitzt und seine Verlobte nur während weniger kurzer Sprechzeiten sehen konnte, heiratet sein bester Freund Eberhard Bethge. Bald erwarten die beiden ihr erstes Kind.

Wie tapfer Dietrich ihnen Glück wünscht, wie er das überhaupt kann angesichts seines eigenen Unglücks, auch das steht alles nur zwischen den Zeilen, die er ihnen aus dem Gefängnis schreibt: „Einige seiner Kinder segnet Gott mit Glück, er lässt ihnen alles gelingen, was sie angreifen, er ist mit ihnen. (…). Andere seiner Kinder segnet Gott mit Leiden bis zu Martyrium. (…) Gott verbündet sich mit Glück und Unglück, um Menschen auf seinen Weg und zu seinem Ziel zu führen. Der Weg heißt: halten der Gebote Gottes, und das Ziel heißt: Wir bleiben in Gott und Gott in uns.“

Ich kann mir nicht vorstellen, wie man so etwas schreiben kann und dabei die Hoffnung unterdrücken, dass nach dem Unglück doch bestimmt wieder das Glück kommen wird und sogar kommen muss. Dass es doch so kommt wie bei Josef in der Bibel mit seinem Aufs und Abs und wieder Aufs. Dass der tiefe Brunnen und die Gefängniszelle nur eine Station auf dem Weg sind und die ganze Geschichte am Ende doch gut ausgeht. Und nicht nur gut für ihn allein, sondern für seine ganze große Familie. Auch Dietrich Bonhoeffer ist so ein Liebling gewesen, der Stolz seiner Eltern, mit großen Träumen und glänzenden Aussichten. Und heute wissen wir: Es ist nicht gut ausgegangen, nicht für ihn und auch nicht für seine ganze große Familie.

Großes Glück und großes Unglück sind „sich kaum unterscheidbar nah“, schreibt Dietrich in seinem Gedicht, „groß und schrecklich ist beides“. Am ehesten ist diese Erfahrung wohl dann zu machen, wenn wir lieben. Denn dann macht das Glück gleichzeitig die Tür zum Unglück auf. So hat es Dietrich Bonhoeffer wohl jedes Mal erlebt, wenn sich nach einer Sprecherlaubnis die Tür hinter seiner Verlobten Maria wieder schloss. Besonders gequält hat ihn, zu erleben, dass auch das Unglück alt werden kann. Nach der Aufregung bei seiner Verhaftung kamen die vielen quälenden Monate der Ungewissheit, in denen nichts besser oder schlechter wurde.

Niemand von uns hat erlebt, was Bonhoeffer widerfahren ist. Aber Erfahrungen mit altgewordenem Unglück, die kenne ich auch. Wo keiner mehr fragt, wie es einem geht und wie man zurechtkommt und eigentlich alle nur noch hören wollen, dass man schon fast aus dem Loch heraus ist und es wieder aufwärts geht. In solchen persönlichen Passionszeiten braucht man Menschen, die bei einem bleiben, die nicht ungeduldig werden und sich entschlossen den Satz „das wird schon wieder“ verkneifen. Weil es manchmal nicht wieder wird.

„Das ist die Stunde der Treue“ schreibt Dietrich, „die Stunde der Mutter und der Geliebten, die Stunde des Freundes und Bruders.“ Sie waren bei ihm, genauso wie sie damals bei Jesus unter dem Kreuz waren: Die Mutter, die Geliebte, der Freund und der Bruder. Ein Glanz, ein Leuchten in der Dunkelheit ist das: Dableiben bei denen, die leiden.

Gebet

Gott, wir bitten dich nicht um alles Glück der Erde,

nur um ein Leuchten dann und wann

Wir brauchen das in den Dunkelheiten dieser Welt

und unseres Lebens.

Wir bitten dich für alle,

die einen Glanz über ihrem Leben brauchen,

einen Moment der Erleichterung und Erlösung

Gott, wir bitten dich,

dass deine Hände sichtbar werden,

in dem, was wir für andere Menschen tun.

In der Zuwendung, dem guten Wort, der praktischen Hilfe.

Nichts davon ist zu wenig,

vieles davon ist sehr viel,

wenn Menschen durch uns deine Leibe ahnen können.

Gott, in des Lebens Kümmernissen

bitten wir dich um Ergebung,

um die Gnade, die Dinge annehmen zu können,

wie sie nun einmal sind.

Du weißt am besten,

wieviel wir tragen können und müssen.

Lass uns in allem Glück und allem Unglück

bei dir wunderbar geborgen sein.

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