Guter Hoffnung

„Guter Hoffnung sein“ – ich liebe diesen altmodischen Ausdruck dafür, schwanger zu sein und ein Kind zu erwarten. Und ich weiß auch, wie schwierig es manchmal ist, diese gute Hoffnung zu behalten angesichts der vielen Untersuchungen und Tests, denen eine Schwangere sich unterziehen muss. Zum Glück sind bei uns die Zeiten vorbei, in denen eine Schwangerschaft eine Frau und auch ihr Kind häufig in Lebensgefahr gebracht hat. Andererseits und vielleicht gerade deswegen gibt es auch eine neue Sensibilität dafür, was es eigentlich bedeutet, wenn sich eine gute Hoffnung nicht erfüllt.

Für den Priester Zacharias und seine Frau, die Priestertochter Elisabeth ist das Thema Schwangerschaft schon lange vorbei. Am Anfang, da haben sie vielleicht noch in Monaten gerechnet und alle vier Wochen aufs Neue gehofft. Irgendwann reichte ihre Hoffnung nur noch bis zum nächsten Jahr. Und dann hat sie sich ganz und gar verbraucht. Über ihren Wünschen sind die beiden alt geworden. Ob es jetzt ums Kinderkriegen geht oder um etwas anderes: Etwas Schlimmeres gibt es eigentlich nicht.

Zacharias, dieser Name bedeutet: Gott gedenkt. Und als Priester ist es ja seine Aufgabe, seinen Namen mit seinem Leben und mit seiner Person zu füllen. Gott gedenkt – wenn Zacharias ehrlich hätte sein wollen, so authentisch, wie man es von religiösem Personal zu Recht erwarten darf, dann hätte er sagen müssen: Gott gedenkt meiner nicht.
Gott erinnert sich irgendwie nicht mehr an meine Wünsche oder hat sie vergessen über den vielen Wünschen und Bitten der anderen. Und es liegt schon eine gewisse Ironie darin, dass es auch noch meine Aufgabe als Priester ist, all die fremden, frommen Wünsche und Bitten vor Gott zu bringen. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Aber mit mir selbst hat es nicht mehr viel zu tun.

Ich bin kein alter Mann, aber religiöses Personal bin ich auch. Und ich versuche zu vermeiden, dass mir das Gleiche passiert wie Zacharias. Es gibt Tage, da braucht auch meine Hoffnung Sauerstoff. Gott gedenkt, ist das wirklich wahr? Ja, es ist wahr. Gott gedenkt an jede und jeden von uns, in alle unseren unterschiedlichen Lebenssituationen und Herausforderungen, an jede und jeden mit ihren und seinen Wünschen und Bitten. Ich heiße nicht Zacharias. Aber ich glaube, dass Gott gedenkt. Und es Gott nicht egal ist, was mit uns ist.

Zu Zacharias kam dann ein Engel. Wie immer, wenn Menschen die Luft ausgeht, wenn sie zu ersticken drohen in Traurigkeit und Angst. Fürchte dich nicht, sagt der Engel zu Zacharias. Egal, wie mechanisch du deine Gebete in den letzten Jahren verrichtet haben magst: Gott gedenkt deiner. Und zwar jetzt. Der alte Wunsch geht in Erfüllung. Ihr bekommt ein Kind. Deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben (Lk 1, 13). Gott gedenkt deiner, Zacharias. Du bekommst einen Johannes. Und dieser Name bedeutet: Gott hat sich erbarmt. So wird es kommen. Neun Monate noch.

Woran soll ich das erkennen? fragt Zacharias. Noch kann man nichts sehen. Neun Monate sind lang. Überhaupt kann doch so viel passieren. Es ist eine berechtigte Frage. Und ein guter Priester ist ein zweifelnder und nachdenklicher Priester. Mit Glauben und Hoffen allein ist Zacharias noch nicht sehr viel weiter gekommen in den vergangenen Jahren. Mit Glauben und Hoffen allein ist es schwer. Jeder, nicht nur Zacharias, möchte ein Zeichen, etwas, das man sehen und anfassen kann. Aber bis sich Elisabeths Leib wölbt, wird es wieder Monate dauern.

Und siehe, du wirst verstummen und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die erfüllt werden sollen zu ihrer Zeit (Lk 1,20), sagt der Engel. Und Zacharias wird stumm und damit als Priester arbeitsunfähig.
Was für eine Vorstellung, religiöses Personal, das mal nicht dauernd redet, sondern sich mit einem stummen, bedauernden Winken zur Gemeinde begnügen muss.
Zacharias hat nun neun Monate Zeit, das gleiche zu tun, was schwangere Frauen tun: In sich selbst hinein zu lauschen. Sich an diesen Zustand zu gewöhnen, die schönen Momente wahrzunehmen und auch an den Gedanken, dass es irgendwann einmal zu Ende ist mit dem Warten.
Zacharias übt, guter Hoffnung zu sein, neun Monate lang übt er das. Während der Leib seiner Frau sich mehr und mehr wölbt, sind sie so beide schwanger. Dann kommt das Kind. Und weil Zacharias ja stumm ist, muss er auf eine kleine Tafel schreiben, wie ihr Sohn heißen soll: Johannes. Gott hat sich erbarmt.

Und als Zacharias wieder zu reden beginnt, kommen aus seinem Mund keine Floskeln mehr. In ihm ist Glauben neu gewachsen, auf dem Boden von Zweifel und Nachdenklichkeit. Gott gedenkt und Gott hat sich erbarmt. Zwischen dem Versprechen und seiner Erfüllung liegt ein Leben. Wahrscheinlich ist es mit dem Glauben so. Er nimmt in meinem Leben langsam und im Verborgenen Gestalt an. Er bildet sich, genau wie ein Kind im Leib seiner Mutter. Und dazwischen liegen Zeiten des Wartens, in denen nach außen hin gar nichts passiert.

Zacharias‘ persönlicher Lockdown hat ihn unterbrochen in seiner Routine, vor allem in seinem berufsmäßigen Reden. Und manchmal denke ich: Angesichts der Situation dieser Welt wäre ein bisschen Verstummen und Abwarten-können gar nicht so schlecht. Es gibt auf alles eine sofort eine Reaktion, bevor man überhaupt sieht, wie sich alles entwickelt. Die Ereignisse in Syrien und die Reaktion deutscher Politiker darauf sind ein gutes Beispiel dafür.

In Zacharias musste Glauben wachsen, neun lange Monate lang. Er kann nicht reden, schon gar nicht von guter Hoffnung. Aber in ihm ist sie trotzdem gewachsen. Denn das sind die ersten Worte, die er spricht, als er wieder sprechen kann.

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels. Denn er hat besucht und erlöst sein Volk,
durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Amen

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