Ich bin das Gummibärchen

Ich bin das Gummibärchen

Predigt zu 1. Kor 11, 17-29

Es gab Streit um das Abendmahl, wieder mal. Zum Glück ist dieser Streit, soweit ich es überblicke, bisher auf Auseinandersetzungen unter Theologinnen und Theologen beschränkt geblieben. Was allerdings auch noch nie anders gewesen ist. Denn die Meinungen und vor allem die Gefühle der Menschen, die das Abendmahl miteinander feiern, stehen bei diesen Streitigkeiten meistens nicht an erster Stelle. Von manchen wurde der jüngste Streit scherzhaft schon der „hannöversche“ Abendmahlsstreit genannt. Es ging um eine Arbeitshilfe für das Feierabendmahl des vergangenen Kirchentags in Hannover. Als alternativer Entwurf wurde darin eine Feier vorgeschlagen, in der statt Brot und Wein Süßigkeite wie zum Beispiel Gummibärchen aus einer „Wundertüte“ miteinander geteilt werden sollten. Einige Gemeinden wandten sich mit kritischen Rückfragen dazu an den Kirchentag und die gastgebende hannoversche Landeskirche. Kurze Zeit später wurde der Entwurf vom Kirchentag selbst wieder zurückgezogen. Und war damit erst einmal vom Tisch. Aber dann ging es erst richtig los.

Ich war auf einem Seminartag, bei dem es um diesen Entwurf ging. Ich habe noch nie so einen offenen Streit zwischen Theologinnen und Theologen miterlebt. Aber warum soll es uns besser gehen als den Generationen vor uns? Um das Abendmahl gab es eigentlich nie etwas anderes als Streit. Zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Lutheranern und Reformierten. Um die Frage, ob mit Wein oder mit Traubensaft gefeiert werden soll. Ob Kinder dabei sein dürfen oder nicht. Ob man das Abendmahl mit einem Gemeinschaftskelch, mit Einzelkelchen oder mit dem Eintauchen des Brotes in den Kelch feiert. Wie man es in einer Pandemie feiern könnte. Ob man es digital feiern kann…

Zu all diesen Fragen gibt es unterschiedliche Meinungen. Und meistens endet es mit zerschnittenen Tischtüchern. Erst 1973, nach fast 500 Jahren Streit, war es Lutheranern und Reformierten möglich, wieder gemeinsam Abendmahl zu feiern. Zwischen Katholiken und Protestanten ist es bis heute unmöglich. Und selbst ein Abendmahl mit Gummibärchen macht offensichtlich niemanden froh.

„Ich kann’s nicht loben, dass ihr nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommt. Zum Ersten höre ich: Wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt, sind Spaltungen unter euch; und zum Teil glaube ich’s. Wenn ihr nun zusammenkommt, so hält man da nicht das Abendmahl des Herrn. Denn ein jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg, und der eine ist hungrig, der andere ist betrunken.“ (1.Kor 11, 17f.)

Schon in den ersten christlichen Gemeinden hat die Art und Weise, wie sie dort das Abendmahl gefeiert haben, niemanden froh gemacht. In Korinth zum Beispiel, da kommen sie nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammen. Es waren ihre gemeinsamen Mahlzeiten, zu denen das Abendmahl gehörte. Da saßen dann zwar alle an einem Tisch. Aber nicht alle hatten das Gleiche vor sich. Einige, die Reichen, schlemmten und betranken sich. Andere, die Armen, saßen hungrig daneben und mussten zusehen. Und bekamen wirklich nur das Stück Brot und den Schluck Wein beim Abendmahl.

Dass Paulus das nicht loben kann, ist noch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Und deswegen erinnert er sie in Korinth noch einmal daran, was beim Abendmahl eigentlich geschehen soll: „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1. Kor 11, 23-26)

Paulus erinnert in seinem Brief nach Korinth an das letzte Mahl Jesu mit seinen Freunden. Kurz bevor alles zu Ende geht, bevor Jesus gefangengenommen wird, essen und trinken sie noch einmal miteinander. In der jüdischen Tradition gehört der Segen über Brot und Wein zu jedem Abendessen. Doch niemand von denen, die dabei waren, hat diesen einen, letzten Abend vergessen, an dem Jesus die vertrauten Worte mit einer neuen Bedeutung füllt: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“ (Joh 6, 35).

Sie sitzen da zusammen am Tisch, Jesus und die anderen. Unter ihnen Johannes, der Jesus liebt, Judas, der ihn verraten und Petrus, der ihn verleugnen wird. Und die anderen, von denen keiner später weiß, wo sie geblieben sind, als Jesus den Weg zu seiner Kreuzigung geht, allein. Das war das letzte Mal, dass sie zusammen waren. Daran erinnern sie sich, wenn sie noch später wieder das Mahl miteinander feiern, ohne Jesus und trotzdem mit ihm. Denn einer, der nicht mehr da ist, dessen Platz am Tisch leer bleibt, der kann auf eine neue und bisher unbekannte Art gegenwärtig sein. Da denken sie daran, dass sie an diesem Tisch sein können, wie sie sind. Auch nach allem, was vorher passiert ist, Denn es ist ja schon alles auf den Tisch gekommen: Ihre Liebe, ihre Kraft, ihre Schwäche, ihre Schuld. Und trotzdem sind sie wieder zusammen. Weil dieses Mahl nicht ihr Mahl ist, sondern seines. Weil es nicht von ihnen abhängt, ob sie zusammenkommen. Sondern von ihm. Jesus ist das Brot und der Wein. Er ist die Gabe. Weil er sich gegeben hat.

Ihr habt Jesus mit am Tisch. Vergesst das nicht, schreibt Paulus. Alles, was ihr an diesem Tisch tut, soll zu seinem Gedächtnis geschehen. Und stellt euch vor, Jesus wäre dabei und würde euch zusehen: „Wer also unwürdig von dem Brot isst oder von dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn wer isst und trinkt und nicht bedenkt, welcher Leib es ist, der isst und trinkt sich selber zum Gericht.“ (1. Kor 11, 27-29)

Bei den vielen verschiedenen Streitereien rund um das Abendmahl wurde meistens vergessen, dass niemand von uns Gastgeber oder Gastgeberin ist. Wir sind alle nur Gäste an diesem Tisch, mit der gleichen Kraft, der gleichen Liebe, der gleichen Schwäche und der gleichen Schuld wie alle anderen an diesem Tisch. Die Meinungen und Gefühle der anderen sind wichtig. Schon damals in Korinth haben sie nicht gut darauf geachtet, wie es den anderen beim Abendmahl geht. Sie sahen nur noch vor sich auf den Tisch und lieber nicht mehr in die Runde. Denn dann hätten einige von ihnen ja die hungrigen Augen der anderen direkt neben sich sehen müssen. Und das wollten sie nicht.

„Sensitiv“ wollte der Abendmahlsentwurf für den Kirchentag sein, „zeitgemäß und bedürfnisorientiert“. Aber was genau die Bedürfnisse der Menschen sind, die auf dem Kirchentag miteinander Abendmahl feiern, das hat leider niemand diese Menschen vorher gefragt. Denn dann wäre vielleicht schon früher herausgekommen, dass es gar nicht unbedingt das Bedürfnis gibt, Brot und Wein durch Gummibärchen aus der Wundertüte zu ersetzen. Oder dass dieser Vorschlag einige Menschen irritieren oder sogar verärgern würde, gar nicht zuerst die Theologinnen und Theologen, sondern vor allem die sogenannten „normalen Menschen“.

So viele gute Veränderungen in der Art und Weise, wie wir das Abendmahl feiern, sind vom Kirchentag ausgegangen. Aber die Idee, dass Jesus das Gummibärchen sein könnte, gehört vielleicht einfach nicht dazu. An dem jüngsten Abendmahlsstreit ist zu sehen, was das bedeutet könnte, gut aufeinander achten. Und da hätten sich einige von ihrer schönen, gemeinsam entwickelten Idee auch wieder verabschieden müssen, aus Rücksicht auf die anderen, in Liebe zu ihnen.

Es gab Streit um das Abendmahl, wieder mal. Und wieder einmal wundert man sich, warum der Streit so heftig sein muss und so unversöhnlich geführt wird. Vielleicht ist all der Streit nur die andere Seite eines großen Wunsches: Nach einer Gemeinschaft, wo alles auf den Tisch kommen kann, die Kraft, die Liebe, die Schwäche, die Schuld. Wo wir kommen können, wie wir sind. Weil nicht wir unsere Gemeinschaft machen, sondern der, der das Brot ist. Und es uns gibt.

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