Picknick am Berg

Eine Predigt zu Ex 24,9-11 am 26. Mai 2017 in Wittenberg

Neither we nor Moses may enter
the presence of God Himself presumptuously;

we must be invited in.
(aus dem Blog “Southern Reformation”)

(Picknick am Berg)
Glasflaschen sind nicht erlaubt. Behälter dürfen nur aus Plastik sein. Kleine Messer sind gestattet. Ansonsten darf in den Korb, was gut geteilt werden kann, Obst, Gemüse, ein Kuchen oder etwas Herzhaftes.
Morgen muss ich irgendwann noch schnell einkaufen gehen für das Reformationspicknick nach dem Gottesdienst auf der Festwiese. Die Hinweise dazu habe ich im Kopf und mir auch schon Gedanken darüber gemacht. Die Wiese ist groß. Nochmal umkehren werde ich nicht können.
Um Tupperdosen und wie man den Kuchen gut transportieren kann, darüber haben sie sich keine Gedanken gemacht. 74 Männer steigen auf einen Berg. Kein Wort von Proviant oder Ausrüstung. Und keine Möglichkeit, noch schnell an einem Stand etwas zu kaufen oder das Voucher für die Picknickdecke einzulösen.
Gegessen und getrunken haben sie trotzdem auf diesem Berg. Und als sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie. (Ex 24,11). Ein sehr spezielles Picknick. Was isst und trinkt man eigentlich, wenn man gerade Gott gesehen hat? Sekt oder Champagner? Mir wäre nach etwas Stärkerem. Oder gab es etwa ein Verbot von Glasflaschen bei diesem Picknick am Berg?

(Auf der Suche nach dem Ort)
74 Männer steigen auf einen Berg. Mose, sein Bruder Aaron mit seinen Söhnen Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten. Mit diesem Ort, mit diesem Berg ist der Wunsch verbunden, Gott nahe zu sein. Die Sehnsucht danach setzt Menschen in Bewegung. Sie ziehen durch die Wüste und steigen auf Berge, sie gehen auf Wallfahrten und wandern auf Pilgerwegen. Sie kommen zum Kirchentag. Etwas von dieser Sehnsucht hat auch euch in Bewegung gesetzt.
Zugegeben, Wittenberg ist mit 75 Höhenmetern nicht gerade der Berg Sinai. Man muss schon genau hinsehen, um die Erhebung am Elbufer zu entdecken.
Aber ihr seid gekommen, weil hier vor 500 Jahren doch so eine Art Berg Sinai war. Einen neuen Moses haben sie Martin Luther manchmal genannt. Er hat die Nähe Gottes neu entdeckt. Und in dieser Kirche hat er gepredigt. Hier wurden zum ersten Mal das Brot und der Kelch beim Abendmahl an alle ausgeteilt. Und hier hat die Gemeinde angefangen, neue Lieder zu singen.
Hier ist der Ort. Hier ist das Wort und das Brot und der Kelch. Und hier sind neue Lieder. Und ihr seid hier, einige mehr als die 74 Männer von damals. 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation. Und immer noch mit der gleichen Sehnsucht nach Gottes Nähe und nach Gemeinschaft untereinander.

(Keine Ehrengäste)
Gott selbst lädt die 74 Männer ein, auf den Berg zu kommen. Moses und Aaron und Aarons Söhne sind Priester, dazu die siebzig Ältesten als Vertreter des Volkes. Die geistlichen und die weltlichen Anführer Israels, wenn man so will.
Auf unsere Zeit übertragen: Der Ratsvorsitzende der EKD, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und dazu die Volksvertreter, Politikerinnen und Politiker. In den vergangenen und kommenden Tagen gab und gibt es mehr als genug Gelegenheit, sich an dem einträchtigen Miteinander von leitenden Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft zu erfreuen. Gerade dafür ist ja der Kirchentag auch bekannt. Aber eigentlich sollte dieses Miteinander gar nicht der Rede wert sein. Moses und Aaron und die Ältesten kommen zu Gott auf den Berg. Gott hat sie dazu eingeladen. Bei diesem einmaligen und besonderen Anlass gibt es aber keine Rangfolge. Niemand bekommt hier einen Platz im abgesperrten Sicherheitsbereich mit den bequemeren Stühlen oder wird besonders begrüßt. Gott lädt Menschen in seine Nähe. Und die Unterschiede zwischen Menschen werden unwichtig. Vor Gott entsteht eine neue Gemeinschaft.

(Wir sind Papst)
Dieser Gedanke kommt schon vom Berg Sinai und er ist von diesem Ort neu ausgegangen, in die christliche Kirche hinein. Hier war Wort und Brot und Kelch und neue Lieder für alle. Martin Luther schreibt: „Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“ (Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation, 1520). Später hat er das wieder eingeschränkt. Aber am Anfang der evangelischen Kirche stand diese Idee.
Das Priestertum aller Getauften macht deine Nachbarin in der Bank zur Päpstin. Und wer jetzt da ganz hinten stehen muss, ist übrigens Bischof – und hat nur gerade keine Lust, das auszuüben.
Keinem von uns ist Gott fern. Und keiner von uns ist Gott besonders nah. Wenn die Kirche lehrt, dass es eine besondere Nähe zu Gott gibt, über die wir als Menschen verfügen könnten, wenn sie wie vor 500 Jahren sogar ein Geschäft daraus macht, dann muss sie sich verändern.
Martin Luther hat das gedacht und gesagt, hier in Wittenberg. Und 500 Jahre später arbeiten wir immer noch daran. Denn das Priestertum aller Getauften bleibt eine herausfordernde Idee für die christliche Kirche. Ich freue mich über alles, was an Versöhnung und Verständigung schon gelungen ist. Aber manchmal ist es gerade zwischen Christen wie ein mühsamer Weg einen Berg hinauf.
Ich wünsche mir noch viel mehr Mut, auch die offenen Fragen anzusprechen, so wie wir es heute Nachmittag auf dem Marktplatz getan haben. Und offene Fragen habe ich: Ich darf heute in dieser Kirche predigen und zwei ordinierte Frauen teilen gleich das Abendmahl mit mir aus. Aber die Frauenordination gibt es bei uns in Deutschland auch erst seit 40 Jahren. Und selbst in vielen protestantischen Kirchen gibt es sie nicht oder schon wieder nicht mehr.
Und ich möchte endlich mit meiner katholischen Freundin gemeinsam das Abendmahl feiern können. Warum wird diese Frage immer noch auf unbestimmte Zeit verschoben? Ich wünsche mir diese Gemeinschaft vor Gott. Ich bin längst soweit und ich möchte noch erleben, dass wir als Christen miteinander Brot und Kelch teilen. 500 Jahre Trennung sind genug.

(Das erste Reformationspicknick)
Auf dem Altar dieser Kirche ist ausgemalt, wie das aussehen könnte: Die Gemeinschaft vor Gott. Wir sehen das Abendmahl und es sieht aus wie das erste Reformationspicknick in Wittenberg. Ein runder Tisch, an dem ganz normale Menschen sitzen. Wittenberger Gesichter aus der Zeit Martin Luthers. Kein Priester, sondern der Maler Lucas Cranach reicht den Kelch in diesen Kreis.
Jesus ist auch dabei, aber er thront nicht in der Mitte, sondern er sitzt am Rand. Er ist ganz den drei Menschen zugewandt, die ihn am nötigsten brauchen: Johannes, der Lieblingsjünger. Judas, schon auf dem Sprung, um Jesus spektakulär zu verraten. Und Petrus, der das später noch einmal tun wird. Die große Liebe sitzt an diesem Tisch zusammen mit dem Verrat. Jesus zeigt es: Gott wendet sich ihnen zu und macht Gäste aus ihnen allen. Das ist das Versprechen in jedem Abendmahl.
Es ist genau wie damals am Gottesberg: Wir brauchen nichts mitzubringen. Wir kommen, wie wir sind, mit unserer Sehnsucht und unserer Liebe, auch mit unserem lauten und leisen Verrat. Denn die Nähe zu Gott wird nicht von uns Menschen gemacht. Sondern von Gott.

(Saphierblau)
Über diesem Tisch öffnet sich der Blick ins Weite. Der Himmel, so wie ihn ein Kind malen würde, blau mit weißen Wolken. Die 74 Männer am Berg erzählen uns nichts davon, wie Gott nun wirklich aussieht. Sie sahen den Gott Israels. Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist.
Zwischen diesen beiden Sätzen steht ein Schweigen, liegt ein Finger auf den Lippen, ist die Erinnerung an die Worte vom Berg Sinai: Du sollst dir kein Bildnis machen.
„Wie“ ist das eine Wort, das du nicht vergessen darfst, wenn du von Gott redest. Wie eine Fläche von Saphir, wie der Himmel, wenn es klar ist.
Wie ein Blick ins Weite, wie Sonne im Gesicht, wie ein Glanz über deinem Leben. Wie dieser Ort, dieses Brot und der Kelch, wie die Lieder, wie Nähe und Gemeinschaft an einem Tisch.

Die Wetterleute sagen, es ist ein stabiles Hochdruckgebiet. Die 74 Männer vom Berg sagen, es ist der Himmel, Gott zu Füßen. Ich werde gehen und es sehen, heute abend, morgen, am Sonntag auf der Wiese beim Picknick. Ich sehe den Himmel, endlos und blau und klar. Ich sehe Gott über meinem Leben. Und mir nah.

Amen.

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