Eine Predigt zu Lk 12,16-21 am 27. September 2009
Ich bin gern in der Scheune. Nicht nur die Katzen lieben es, sich oben auf den gestapelten Ballen ein Plätzchen zu suchen. Ich sitze dort und spüre noch die Wärme des ganzen Sommers im Stroh und im Heu. Ruhig ist es hier.
Vorbei die Anspannung, die Eile, die ängstlichen Blicke zum Himmel. „Hält sich das Wetter? Kriegen wir alles trocken rein?“ Keine Zeit verlieren, den ganzen Tag bis in die helle Sommer- nacht fährt der Wagen, wird aufgeladen und abgeladen. Die Männer schwitzen bei der Ar- beit, sie beeilen sich, sie bleiben sogar länger, als es abgemacht war. Heute muß noch alles unters Dach kommen.
Das Jahr hatte die Scheune leer gemacht, in einer Ecke noch staubig und trocken die paar übrigen Ballen vom vergangenen Jahr. Jetzt ist sie wieder bis zum Dach gefüllt, die Ballen Lage um Lage sorgfältig gestapelt. Warm ist es in der Scheune und ruhig. Die Wärme des ganzen Sommers in den Ballen. Die große Ruhe nach der großen Arbeit.
Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.
Und er dachte bei sich selbst und sprach:
Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und wil darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte
und will sagen zu meiner Seele:
Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
Die große Ruhe nach der großen Arbeit. Wir feiern das Erntedankfest noch, aber wir schwit- zen nicht mehr unter der Sonne, damit die Ernte vor dem Regen unter Dach kommt. Wir wer- den nicht mehr durstig und hungrig davon. Unsere Arbeit ist anders.
Die wenigsten von uns sehen noch das Ergebnis ihrer Arbeit oder können es sogar anfassen. Schwitzen und sich erschöpfen, das passiert nicht am Schreibtisch, sondern erst beim Sport nach Feierabend.
Unsere Arbeit ist anders, aber die große Ruhe nach der großen Arbeit ist auch unsere Sehn- sucht. Das Bier oder das Glas Wein am Feierabend schmeckt ein bißchen nach dieser Ruhe. Wie köstlich müsste es sein, wirklich durstig zu sein nach einer Arbeit in der Hitze des Tages. Einmal das Tagwerk getan haben. Einmal morgens anfangen und abends wirklich fertig sein, ruhig im doppelten Sinn des Wortes. Einmal alles unters Dach bringen. Einmal ernten.
Solange die Erde währt, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Die Bögen des Lebens. Ein Versprechen von Gott an die Menschen. Das Leben ist ein Bogen, es hat einen Anfang und ein Ende, ist ein Werden und Vergehen, auch ein Säen und Ernten.
Die Bögen des Lebens beginnen zu verschwimmen und sind nur noch mühsam zu erkennen. Sie werden so flüchtig wie der große bunte Bogen am Himmel.
Schmecken kann man sie nicht mehr, weil es das ganze Jahr frisches Obst und Gemüse gibt. Sehen kann man sie nicht mehr, weil es uns ein Leichtes ist, die Nacht zum Tag zu machen. Hören kann man sie nicht mehr, weil der Sonntag kein Tag der Ruhe mehr ist.
Das Leben ist ein Bogen. Wir biegen ihn gerade mit aller Gewalt, weil wir das Ende nicht sehen wollen. Denn das ist doch das Gute an dem, was wir beklagen. Dass wir nicht fertig werden, dass immer noch etwas zu tun ist, dass kein Ende in Sicht ist. Kein Ende in Sicht und wir wollen das auch so. Die große Ruhe nach der großen Arbeit verschieben wir lieber ein bisschen. Sie hat so etwas Endgültiges. Lieber noch etwas tun. Scheunen bauen zum Beispiel.
Der Irrtum des Menschen beginnt mit dem ersten Satz. Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er kannte offenbar das Lied nicht, das zum Erntedankfest gehört und in dem es heißt „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott“. Er hat vergessen, dass ihm nicht gehört, wovon er lebt. Ein fruchtbares Feld, günstige Witterung, eine gute Ernte sind etwas Unverfügbares. Die Grundlagen des Lebens gehören uns nicht, die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, die Erde, die wir bebauen. Das vergessen wir, weil wir nicht mehr säen und ernten müssen. Das vergessen wir, weil unsere Scheune die ganze Welt ist und von überall her kommt, was wir brauchen oder wollen. Das vergessen wir in den Gängen der Supermärkte, in den Geschäften und an den Kassen. Dort lernen wir etwas anderes: Dass man alles kaufen kann und der einzige Man- gel der Mangel an Geld ist. Vergessliche Menschen sind wir und bereit, das Falsche zu lernen.
Der große Irrtum des Menschen ist der Besitz. Wenn die Grundlagen des Lebens dir nicht gehören, dann gehört dir auch nur zum Teil, was aus ihnen entsteht. „Meine Früchte, meine Scheune, mein Korn, meine Vorräte“ Die besitzanzeigenden Fürwörter häufen sich verdächtig in dieser Geschichte. Ein quengelndes Kleinkind fällt mir ein, „mein, mein, mein“. An der Supermarktkasse üben wir angesichts der „Quengelware“ geduldig mit un- seren Kindern ein, dass man nicht alles haben kann und zu haben braucht. Gegen ihren erbitterten Widerstand lehren wir unsere Kinder, abzugeben und zu teilen und bleiben doch von all unseren Lektionen selbst merkwürdig unberührt.
Wir wissen, dass man nicht alles haben kann und braucht. Wir wissen, daß man abgeben und teilen muss. Wir wissen, dass wir mit unserem Lebensstil die Lebensgrundlagen aller Menschen auf der ganzen Welt zerstören. Wir wissen, dass die Verteilung der Güter auf dieser Welt ungerecht ist. Wir wissen das alles und quengeln trotzdem weiter: „meine bil- ligen Lebensmittel“, „meine grenzenlose Mobilität“, „mein Lebensstandard“, „mein Haus“, „meine Altersvorsorge“.
Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?
Das quengelnde Kleinkind in uns wird streng zurechtgewiesen. Werde erwachsen. Du kannst nicht alles haben und es gibt noch andere Menschen auf der Welt. Also fang gar nicht erst damit an, dir Scheunen zu bauen. Wenn du nicht mehr weißt, wohin mit dem, was dir gehört, dann hast du schon zuviel.
Das ist eine schlichte Einsicht mit weitreichenden Konsequenzen. Sie würde unter ande- rem verhindern, was wir gerade als große Krise erleben: Dass Menschen riesige Scheunen errichten, in denen ihr Geld gewinnbringend angelegt werden soll und dass diese Scheunen eines Tages einfach zusammenbrechen.
Die Anhäufung von Besitz ist auch ein Versuch, den Bogen des Lebens mit aller Gewalt geradezubiegen. Besitz, Geld, eine private Krankenversicherung, das alles verlängert er- wiesenermaßen das Leben und erleichtert vielleicht auch den Tod. Aber alles, was wir ha- ben, ändert nichts daran, dass wir eines Tages gehen müssen und nichts mitnehmen kön- nen. Die Grenzen des Lebens, seinen Anfang und sein Ende werden wir nicht verschieben. Der Bogen des Lebens schließt auch unser Leben ein. Es ist gut, sich gerade in den Ernte- zeiten des Lebens daran zu erinnern. In der jüdischen Tradition werden zum Erntefest Suk- kot kleine Laubhütten errichtet, in denen während der Festtage gewohnt wird. Eine Laub- hütte mit einem durchlässigen Dach, das genaue Gegenteil einer Scheune. Keine Sicherheit, kein Schutz vor der Witterung, aber offen zum Himmel. Darin wohnen und nicht in Scheunen. Bereit zu gehen, weil wir nicht bleiben können.
Was sollen wir tun? Es gibt eine Scheune, in die wir sammeln können. Sie steht am Ende des Bogens, der unser Leben ist. Sie steht dort, wo der Himmel die Erde berührt. Ein ande- rer hat sie gebaut. Dort wird nicht aufbewahrt, was du besessen hast, sondern was du gegeben hast. Dort wird das gesammelt und zusammengebunden, was du einmal aus- gesät hast. Dort ist die Wärme zu spüren, die in deinem Leben von dir ausgegangen ist. Dort ist die große Ruhe nach der großen Arbeit. Dort ist ein Platz für dich.
Amen.