Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen (Joh 3,30) Das ist die Botschaft Johannes des Täufers. Er soll in der Wüste gelebt, sehr kratzige Gewänder getragen und sich vorwiegend von Honig und Heuschrecken ernährt haben. Johannes predigte Umkehr und taufte Menschen im Fluss. So, dass man Angst bekommen hat, dabei zu ertrinken vermute ich. Denn wer so hart zu sich selbst ist, ist es wahrscheinlich auch zu anderen. Und dann dieses Motto: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Nichts für sich selbst, alles für einen anderen.
Nämlich für Jesus, dessen Geburtstag wir in genau einem halben Jahr feiern werden. Johannes und Jesus waren schon als Babys miteinander verbunden, erzählt uns die Bibel, wie eine Art Beinahe-Brüder. Jesus ist genau ein halbes Jahr jünger als Johannes. Aber mit den beiden ist es anders, als man es sonst kennt. Der Ältere tritt hinter den Jüngeren und nimmt sich zurück.
Aus verschiedenen Gründen ist Johannes eine unpopuläre biblische Gestalt. Er predigt Umkehr. Er sagt, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher und dass ein anderer kommen wird, der das Ganze noch viel radikaler sieht. Seine Worte kratzen an den Seelen der Menschen: So wie sein Gewand schon kratzt, wenn man es nur ansieht. Seine Worte sind nicht einfach zu schlucken. Sie spreizen sich im Hals, wie eine Heuschrecke es tun würde. Und es ist fraglich, ob ein bisschen Honig dieses Kratzen noch lindern würde.
Der Weg des Christentums und der Kirche war ein Weg heraus aus der Wüste. Seine ungemütlichen Anfänge wurden Vergangenheit. Sie verschwanden, wie Wasser spurlos wegtrocknet auf Stirnen und im Sand am Ufer des Flusses. Johannes wurde zu so einer Art kauzigem Vorgänger von Jesus gemacht. Von Umkehr sprach man nicht mehr so gerne. Und die noch viel radikaleren Forderungen Jesu, der Verzicht auf Besitz, auf Macht und auf Gewalt, sie wurden geschmeidiger und leichter verdaulich gemacht. Das Christentum hat seine dürftige, dornige Vergangenheit rund um das Mittelmeer eigentlich ganz gerne hinter sich gelassen.
Dafür übernahm die Kirche, die sich nun christlich nannte, diese ganze Sache mit Besitz und Macht und Gewalt. Sie hat den Weg der Demut und Armut verlassen und stattdessen andere Wege eingeschlagen. Aber das ist nicht der Weg, wenn wir auf Johannes sehen und auf Jesus.
Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Wir sorgen uns, dass wir in der Kirche weniger Menschen werden, dass wir Mitglieder verlieren und auch unsere Bedeutung und unseren Einfluss in der Gesellschaft. Wir sorgen uns noch, aber vielen Menschen ist es auch schon längst egal. An manchen Orten fühlt es sich so an, als sei dieser Weg des Christentums an ein Ende gekommen und es ist vielleicht auch so.
Aber ich glaube ohnehin nicht, dass das noch der Weg war, der damals bei Johannes und Jesus, diesen Beinahe-Brüdern. begonnen hat. Wir haben als christliche Kirchen über die Zeiten eine Menge Glaubwürdigkeit verloren, um es sehr vorsichtig auszudrücken. Die meisten Probleme, die wir bis heute haben, sind welche, in den es um Besitz, Macht und Gewalt geht. Und wir wissen eigentlich sehr genau, wo und wie wir unsere Glaubwürdigkeit wiederfinden können: Wenn es bei uns anders ist.
Er muss wachsen, wir aber müssen abnehmen. Wer diesen Weg geht, in einer Gemeinde, in einer Kirche, kann sich nicht immer selbst am wichtigsten nehmen, sondern muss die anderen wichtiger nehmen als sich selbst. Und auch noch bereit sein, unbedeutend zu werden. Das ist nicht einfach und bestimmt nicht populär. Aber das war der Weg Jesu von Anfang an nicht. Er hat begonnen da am Fluss, als sie einem kratzigen Mann mit merkwürdigen Essgewohnheiten gegenüberstanden, der sie so taufte, dass sie nach Luft schnappten. Da am Fluss mit all den Steinen, die einem unter den Füßen drücken. Im Hinweisen auf Jesus und auf seine radikale Botschaft der bedingungslosen Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten. Dieser Weg geht weiter. Und man wird es uns ansehen, ob wir das wirklich ernst nehmen: Dass wir abnehmen müssen, damit Jesus mit seiner Botschaft bei uns wachsen kann.