Eine Predigt zu Gen 18,1-15 am 14. Februar 2010 in Duisburg
Weiße Haare und beige Mäntel, wohin man blickt. Alle Tische in der Bäckerei mit dem Cafe, direkt am Marktplatz, sind besetzt. Es ist Dienstag, Markttag, und aus den umliegenden Dörfern kommen sie mit dem Bus in die Kleinstadt.
Früh erst einmal zum Arzt, dann einkaufen in den kleinen Geschäften entlang der Hauptstraße und bei den wenigen Ständen auf dem Marktplatz. Ein paar Scheiben Aufschnitt, beim Obststand vier Mandarinen und Weintrauben. Gelegentlich bildet sich sogar noch eine kleine Schlange vor einem Verkaufswagen. Sie warten geduldig, sie sind das gewohnt, sie haben ja Zeit.
Bis zur Abfahrt des Busses setzen sie sich dann ins Cafe. Eine Tasse Kaffee, ein bisschen erzählen, die bescheidenen Einkäufe im Beutel zu ihren Füßen. Rechtzeitig stehen sie auf, langsam gehen sie zur Bushaltestelle, sitzen dort noch ein wenig auf der Bank. Dann geht es zurück in die Dörfer.
Ein Stück aus der Wirklichkeit, aus meiner Wirklichkeit in der mecklenburgischen Kleinstadt Bützow, in der ich seit nun fast sechs Jahren lebe. Ein Stück aus der Wirklichkeit, ein Bild für die Schwierigkeiten, mit denen der Nordosten Deutschlands zu kämpfen hat. Das Armenhaus und das Altersheim der Bundesrepublik. Die geringsten verfügbaren Einkommen, der höchste Altersdurchschnitt. 1989 war Mecklenburg-Vorpommern das Bundesland mit der jüngsten Bevölkerung, bereits 2012 wird es das mit der ältesten Bevölkerung sein. Etwa 11% der Bevölkerung sind abgewandert, über 200 000 Menschen, insbesondere junge Frauen. Die Stadt Bützow ist von über 10 000 auf nun 7500 Einwohner geschrumpft, mit weiter fallender Tendenz. Für die Demographen ist Mecklenburg-Vorpommern ein hochinteressantes Forschungsgebiet, vergleichbare Entwicklungen wie im Nordosten Deutschlands gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Entwicklungen, wie sie in anderen Teilen Deutschlands erst in 20 Jahren zu erwarten sind.
Entwicklungen, die aber auch hier, tief im Westen, nicht unbekannt sind. Die Überalterung in den Kernstädten des Ruhrgebietes, die Abwanderung ins Umland gehören auch hier zur Alltagswirklichkeit. Weiße Haare und beige Mäntel, Arztbesuche und bescheidene Einkäufe. Ein Stück aus der Wirklichkeit. Ein Blick in die Zukunft.
Gen 18, 1-15
Und der HERR erschien ihm bei den Terebinthen von Mamre,
während er am Eingang des Zelts sass, als der Tag am heissesten war.
Er blickte auf und schaute sich um, sieh, da standen drei Männer vor ihm.
Und er sah sie und lief ihnen vom Eingang des Zelts entgegen und warf sich nieder zur Erde.
Und er sprach: Herr, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen,
so geh nicht vorüber an deinem Diener.
Es soll etwas Wasser geholt werden, dann wascht eure Füsse und ruht euch aus unter dem Baum. Ich will einen Bissen Brot holen, dass ihr euch stärken könnt, danach mögt ihr weiterziehen.
Denn deswegen seid ihr bei eurem Diener vorbeigekommen.
Sie sprachen: Mach es so, wie du es gesagt hast.
Da eilte Abraham ins Zelt zu Sara und sprach:
Nimm schnell drei Sea Mehl, Feinmehl, knete es und backe Brote. Auch zu den Rindern lief Abraham, nahm ein zartes, schönes Kalb und gab es dem Knecht, und der bereitete es eilends zu.
Dann nahm er Butter und Milch und das Kalb, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor.
Er selbst wartete ihnen auf unter dem Baum, und sie assen.
Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er sprach: Da drinnen im Zelt. Da sprach er: Fürwahr, übers Jahr werde ich wieder zu dir kommen.
Dann hat Sara, deine Frau, einen Sohn.
Sara aber horchte hinter seinem Rücken am Eingang des Zelts. Abraham und Sara aber waren alt und hochbetagt;
Sara ging es nicht mehr, wie es den Frauen zu gehen pflegt.
Und Sara lachte bei sich: Nun da ich verbraucht bin, soll ich noch Liebeslust empfinden, und auch mein Herr ist alt.
Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Sollte ich wirklich noch gebären können, da ich doch schon alt bin? Ist denn irgendetwas unmöglich für den HERRN?
Übers Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen. Dann hat Sara einen Sohn. Sara aber leugnete: Ich habe nicht gelacht. Denn sie fürchtete sich.
Er aber sprach: Doch, du hast gelacht.
Ein Stück aus der Wirklichkeit. Weiße Haare, so sitzen sie im Schatten der Bäume, im Eingang des Zeltes.
Abraham und Sara, auch sie abgewandert, aufgebrochen in ein neues Land. Aufgemacht haben sie sich, weil Gott ihnen etwas versprochen hat. Heimat und Zukunft, Land und Kinder.
Ihre Heimat mussten sie dazu allerdings erst einmal verlassen. Und auf die Kinder warten sie noch immer. So sitzen sie im Schatten der Bäume, im Eingang des Zeltes. Was soll noch kommen?
Es kommt Besuch und es kommt Leben in Abraham und in Sara. Nun ist etwas zu tun, sie sind gefordert. Das Tempo ihres Lebens beschleunigt sich mit einem Mal wieder. Endlich haben sie mal nicht alle Zeit der Welt, sondern beeilen sich, weil die Gäste ja warten. Einmal keine bescheidene Mahlzeit zu zweit, sondern ein Festessen vorzubereiten. Die Hektik der Vorbereitungen, ganz anders als die Art und Weise, in der die beiden sonst ihre Zeit verbringen. Sie haben ja schon so lange gewartet. Ein Warten, dem die Hoffnung längst abhanden gekommen ist.
Weiße Haare. Was soll noch kommen?
Dann essen die Gäste. Ein Moment der Ruhe und in die Stille hinein eine Frage.
Wo ist Sara? Abraham, der sich aufgemacht in ein neues Land, ist ja nicht alleine gekommen. Heimat, die könnte er auch allein finden, aber Zukunft, Kinder gibt es nur zusammen mit seiner Frau. Die Frage nach Sara ist auch die Frage nach der Zukunft dieser beiden. Und unglaublich, was der Besuch dann verspricht. Es wird diese Zukunft geben, das unbestimmte Warten wird ein Ende haben. Etwas, was sich alle Wartenden, alle, die hoffen, von ganzem Herzen wünschen: Dass einer sagt, wann es endlich soweit ist, wann das Warten ein Ende hat. Ein Jahr noch, ein kurzes Jahr, und Sara wird ein Kind haben und die beiden eine Zukunft.
Sara lacht. Sie ist nicht die erste, die lacht. Auch Abraham hat schon auf den Knien gelegen vor Lachen. Er hat das schon einmal gehört, dieses Versprechen. Und er hat die gleichen Einwände vorgebracht.
Weiße Haare und ein Kind. Wie soll das zusammengehen? Unwahrscheinlich, unmöglich, lächerlich. Sein Lachen ist so bitter gewesen, wie das Lachen, das jetzt aus dem Zelt zu hören ist.
Und jetzt sagt er gar nichts mehr. Sie haben doch schon genug zu tragen an ihrem vergeblichen Warten und ihren enttäuschten Hoffnungen. Und es gibt doch ein „Zu spät“. Dieses Versprechen stößt sich hart an der Wirklichkeit.
Abraham schweigt und Sara lacht. Ihr könnt mich nicht sehen, sagt sie, aber was ihr sehen würdet, ist eine verbrauchte Frau. Die Jahre des Wartens sind doch nicht spurlos an mir vorübergegangen und nun ist es, als sei mein Schicksal endgültig besiegelt. Ich bin nicht nur eine kinderlose, sondern nun auch eine alte Frau mit einem alten Mann. Das ist die Wirklichkeit. Weiße Haare und kein Kind.
Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn?
Die Frage fällt in das Schweigen unter dem Baum in der Mittagshitze, in die Jahre des Wartens, in die Resignation. Die Frage fällt in die Wirklichkeit. Saras Lachen ist schon eine Antwort gewesen, ihr bitteres Lachen angesichts ihrer Wirklichkeit. Auch Gottes Möglichkeiten sind doch wohl begrenzt, heißt dieses Lachen. Ein Gedanke, über den Sara selbst erschrickt, den sie deswegen schnell von sich weist.
Habe ich wirklich gelacht? Ist es jetzt soweit, dass die Wirklichkeit, die mich umgibt, endgültig alle Möglichkeiten erstickt, sogar die Möglichkeiten Gottes?
Weiße Haare, keine Kinder. Ein Land ohne Zukunft. Abwanderung und Überalterung sind als Phänomene für Demographen hochinteressant. Für alle, die damit zu leben haben, bedeuten sie eine Wirklichkeit, die viele Möglichkeiten erstickt.
Schon fehlen bei uns in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr die Arbeitsplätze, sondern die Menschen mit entsprechender Ausbildung, die diese Arbeitsplätze ausfüllen können. Es fehlen die Kinder, die jungen Familien, die Menschen der mittleren Generation, die die Kraft haben, sich neben Familie und Beruf noch in der Gesellschaft engagieren können, angefangen von Sportvereinen und der Feuerwehr bis hin zur Kommunalpolitik.
Auf immer weniger Schultern ruht die Verantwortung für ein gelingendes Miteinander der Menschen. Die Zahl derer, die etwas mittragen können, gerät ins Missverhältnis zu der Zahl derer, die mitgetragen werden müssen.
Entwicklungen, die bei mir zuhause schon Wirklichkeit sind, die sich auch hier bei Ihnen schon deutlicher ankündigen als anderswo in Deutschland. Entwicklungen, die aber auch auf unser ganzes Land zukommen und die unsere Zukunft bestimmen werden. In einer solchen Wirklichkeit von Zukunft und Hoffnung zu sprechen, ist schwer. Unwahrscheinlich, unmöglich, lächerlich?
Das bittere Lachen Saras – auch unsere Antwort?
Der HERR aber nahm sich Saras an, wie er gesagt hatte,
und der HERR tat an Sara, wie er geredet hatte:
Sara wurde schwanger und gebar Abraham in seinem Alter einen Sohn, zu der Zeit, die Gott angekündigt hatte.
Und Abraham nannte seinen neugeborenen Sohn, den Sara ihm geboren hatte, Isaak. Und Abraham beschnitt seinen Sohn Isaak, als er acht Tage alt war, wie Gott es ihm geboten hatte.
Und Abraham war hundert Jahre alt, als ihm sein Sohn Isaak geboren wurde.
Da sprach Sara: Ein Lachen hat mir Gott bereitet. Jeder, der davon hört, wird meinetwegen lachen.
Und sie sprach: Wer hätte je zu Abraham gesagt: Sara stillt Kinder. Und doch habe ich in seinem Alter einen Sohn geboren.
Weiße Haare und ein Kind. Die Geschichte von der Geburt Isaaks ist die Geschichte einer Verwandlung. Das bittere Lachen angesichts einer Wirklichkeit, die alle Möglichkeiten erstickt, verwandelt in ein Lachen ohne jede Einschränkung. Kinderlachen, ein Kind, das Zukunft mitbringt und Hoffnung.
Die Jahre ganz ohne Hoffnung sind damit nicht vergessen, Abraham und Sara haben sie schließlich leben müssen, sie sind alt darüber geworden und grau.
Und die Geschichte Gottes mit Abraham und Sara endet ja auch nicht in dem Idyll von Vater, Mutter und Kind. Schon bald sieht es so aus, als sollte Abraham das größte Opfer abverlangt werden, das es überhaupt geben kann, das Leben seines Kindes. Kein Lachen mehr, nicht einmal ein bitteres, sondern nur Schweigen auf dem Weg den Berg hinauf, wo Isaak geopfert werden soll. Schweigen und Verzweiflung und die Frage, ob das Versprechen jetzt zurückgenommen wird, die Möglichkeiten nun doch endgültig erstickt.
Es ist nicht so gekommen: Die Geschichte Gottes mit Abraham und Sara, mit Isaak und mit denen, die nach ihnen kommen werden, geht weiter. Immer wieder in der Geschichte Gottes mit seinen Menschen gibt es das, was Abraham und Sara erlebt haben: Jahre des Wartens, Zeiten ganz ohne Hoffnung, eine Wirklichkeit, die alle Möglichkeiten zu ersticken droht. Ein Versprechen, das sich stößt an der Wirklichkeit, das immer wieder Hindernisse überwinden muss und Rückschläge aushalten. Wir erleben etwas davon in unserer Zeit, wir sehen weiße Haare und keine Kinder und es wird schwer, von Zukunft zu reden und von Hoffnung, schwer, nicht zu resignieren und zu verbittern. Dort, wo ich lebe, spüren wir besonders, wie uns Menschen fehlen, die Hoffnung haben und an eine Zukunft glauben. Christinnen und Christen, die an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glauben, sind solche Menschen.
Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn? Die Frage an Abraham und Sara fällt auch in unsere Wirklichkeit, wartet auf unsere Antwort.
Ein Lachen? Was für ein Lachen? Schweigen?
Auf der Suche nach einer Antwort sehe ich die beiden, wie sie da sitzen unter dem Baum in der Mittagshitze, im Eingang des Zeltes.
Weiße Haare. Und ein Kind.
Amen.