Das Böse fiel vom Himmel wie ein Blitz. Zwei Kirchen wurden zu glühenden Ruinen, zwei Städte fielen in Schutt und Asche. Bis auf den heutigen Tag sind die Wunden zu sehen, die der Krieg ihnen zugefügt hat – hier in Berlin und in Coventry in Mittelengland in der Nähe von Birmingham. Wir feiern heute den Nagelkreuzsonntag. Von allen Nagelkreuzzentren in der ganzen Welt ist es wahrscheinlich die Gedächtniskirche, die am sprechendsten zeigen kann, was Versöhnung wirklich bedeutet.
Denn die Verbindung zwischen St. Michaels in Coventry und der Gedächtniskirche in Berlin könnte so schrecklich einfach sein: Die Deutschen bombardierten und zerstörten Coventry. Sie erfanden für ihre Propaganda sogar das Wort „Coventrieren“. Und nahmen es lieber nicht mehr in den Mund, als dann wenige Jahre später die Bombenangriffe über Berlin und andere deutsche Städte kamen. Zerstört ihr unsere Städte, dann zerstören wir eure. Und dann bliebe nichts als Zerstörung, für alle Zeit.
Dass diese schreckliche Gleichung nicht aufgeht, verdanken wir dem Dompropst Richard Howard. Kurze Zeit nach dem Angriff ließ er die Worte „Vater vergib“ an der Wand der ausgebrannten Ruine anbringen. „Vater vergib“, weil ihm klar geworden war, dass das Maß der Zerstörung alles bisher Gekannte überstieg. „Vater vergib“, weil er wohl schon 1940 ahnte, was dieser Krieg noch alles an Zerstörung und Wunden über ganz Europa bringen würde. Und „Vater vergib“ auch, weil ihm klar war, wie lange die Wunden dieses Krieges lange brauchen würden, um zu heilen. Und dass einige nie heilen würden. Das Böse fiel vom Himmel wie ein Blitz. Und gehört seitdem hinein in unsere Welt.
Die Zweiundsiebzig aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen. Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind. (Lk 10, 17-20)
Freut euch nicht zu früh! 72 Menschen bekommen von Jesus einen ziemlichen Dämpfer verpasst. Sie waren im Auftrag Jesu losgezogen, um den Frieden im ganzen Land weiter zu sagen, um Kranke zu heilen, um zu verkündigen, dass das Reich Gottes nahe ist. Und weil sie noch Anfänger und Lehrlinge in dieser Sache sind, hatte Jesus ihnen sehr genaue Anweisungen gegeben, was sie zu tun und vor allem, was sie zu lassen haben. Keine Geldbeutel, keine Tasche, keine Schuhe durften sie mitnehmen. Nichts mitbringen, vor allem kein Geld, und sich auch unterwegs nichts einstecken können. Mit ihren nackten Fußsohlen sollen sie empfindlich bleiben für den steinigen Weg, den sie gehen müssen. Und gleichzeitig abgehärtet. Sie sollen keine Scheu haben, sich die Füße schmutzig zu machen. Und wenn sie mit ihrer Botschaft nicht ankommen, dann sollen sie den Staub von ihren nackten Füßen schütteln und einfach weitergehen.
Ein erster Versuch ist das. Und die 72 kommen zurück, wie man manchmal zurückkommt nach dem ersten Versuch. Vor allem, wenn er gelungen ist. Voller Freude über das, was sie erreicht haben und was auch wirklich beeindruckend ist: Sie haben Dämonen ausgetrieben in Jesu Namen. Das war mehr, als sie erwartet haben. Sie haben sich selbst übertroffen. Nur leider kein Wort davon, ob ihnen gelungen ist, wozu sie eigentlich ausgesandt waren: Den Frieden bringen, Kranke heilen, das Reich Gottes verkündigen, Menschen zum Glauben zu bringen. Es ist ihnen gegangen, wie es manchen geht, die für eine Sache unterwegs sind. Das man sich lieber auf das Spektakuläre stürzt und darüber das Alltägliche vergisst.
Sich Zeit nehmen, in jedes einzelne Haus gehen, barfuß und bedürftig, essen müssen, was man gerade vorgesetzt bekommt und auch Desinteresse und Ablehnung ganz gelassen abschütteln wie Staub von den Füßen – das ist ein Weg, der seine Steinigkeit erst so richtig zeigt, wenn man ihn geht. An den empfindlichen Sohlen ihrer Füße, die immer bleiben, an den Stellen, auf denen nie eine richtige Hornhaut wachsen kann. Und ab und zu ein paar Dämonenaustreibungen heben das schon jetzt leicht angeschlagene missionarische Selbstbewusstsein dieser 72 deswegen bestimmt.
Freut euch nicht zu früh! Und: Wie gut, dass dies nur ein erster Versuch war! Und dass Jesus noch da ist. Der netterweise nicht einmal danach fragt, ob sie überhaupt etwas von dem getan haben, was er ihnen aufgetragen hat. Weil er die Gefahren des Auftrags kennt, den er selbst ihnen gegeben hat: Dass er Macht über andere bedeuten kann.
Denn das ist die größte Gefahr für die 72 und für alle, die in ihre Fußstapfen getreten sind über die Zeit: Dass sie das Gefühl von Macht genießen, das Gefühl, sich alles kaufen und in die eigene Tasche stecken zu können und ungerührt und abgebrüht eigene Wege zu gehen, weg von Jesus, der sie doch losgeschickt hatte. Die Geschichte der christlichen Kirche ist bis auf den heutigen Tag auch eine Geschichte davon, eine Geschichte des Missbrauchs von Macht, eine Verfehlung des Auftrags, den wir von Jesus haben.
Jesus selbst ist schon ein bisschen spöttisch gegenüber seinen Auszubildenden in Sachen Mission: Dämonen habt ihr ausgetrieben, sehr schön. Aber vom Himmel fällt schon im nächsten Moment der Satan wie ein Blitz, erschreckend und unerwartet. Und er fällt euch direkt vor die Füße. Das Böse ist eine Realität auf der Erde und in dieser Welt. Dagegen werdet ihr zu anzukämpfen haben. Seid euch nicht zu sicher, dass ihr schon das Richtige getan habt. Und schon gar nicht alles.
85 Jahre nach der Zerstörung von Coventry und von Berlin, fast 85 Jahre, nachdem hier wie dort die Kirchen verbrannten, haben wir schon Dämonen ausgetrieben. Den Dämon der Rache. Den Dämon des Wunsches nach Vergeltung. Und den Dämon der Feindseligkeit und Unversöhnlichkeit. Aber das Böse fällt vom Himmel wie ein Blitz, auch heute noch. Wir haben in den vergangenen Jahren erfahren, wie genau das stimmt. Es kann wieder passieren. Wir können nicht sicher sein. Wir müssen wachsam bleiben und genau wahrnehmen, was uns vor die Füße fällt. Denn wir sollen den Frieden in diese Welt bringen, die Kranken heilen, das Reich Gottes verkündigen.
Der Weg der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu ist nicht einfach. Kein Geldbeutel, keine Tasche, keine Schuhe: Sich nichts kaufen können, sich nichts in die eigene Tasche stecken dürfen, empfindlich und abgehärtet zugleich bleiben, an den Füßen und im Herzen. Wissen, dass alle Macht und jedes Amt nur übertragen sind auf Zeit. Und dass es nicht darum geht, sich einen Namen zu machen.
Hätte die Kirche Jesu Christi schon diese Gestalt, dann hätten wir Grund zu echter Freude. Und wir müssen auch nach 2000 Jahren feststellen, dass wir immer noch Anfänger und Lehrlinge in dieser Sache sind. Jesus sagt: Freut euch nicht zu früh! Aber freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind. Ihr seid für mich nämlich nicht die namenlosen 72, irgendwelche Mitarbeiter, die ich besser unter ihrer Nummer kenne als unter ihrem Namen. Ihr müsst euch keinen Namen machen. Ihr habt schon einen bei mir.
Freut euch nicht zu früh! Und: freut euch! Wir bleiben Anfängerinnen und Anfänger auf dem Weg Jesu. Aber es gibt Orte, an denen wir es schon ganz gut hinbekommen. In Coventry zum Beispiel und hier in der Gedächtniskirche. Wo man sieht, wie die Wunden des Krieges heilen, durch die beiden eindrucksvollen, modernen Kirchen, fast zur gleichen Zeit neben die verbrannten Ruinen gebaut. „Vater vergib“, diese Worte haben hier gewirkt und Frieden und Heilung in die Welt gebracht. Freut euch darüber.
Amen